Ein Wort zum Krieg.

Kriegsgrab Franz Frommel in Friedrichshafen

Ergänzt am: 30. Januar 2025 //

Ein Ritual, dessen Tragweite mir erst 20 Jahre später bewusst wird.

Vorwort

Die folgende Geschichte wird traurig und ernst. Ganz im Gegensatz zum Motto dieses Blogs.

Ich erzähle euch über eine Weihnachtstradition in meiner Familie. Manche Erinnerungen aus der Kindheit werden erst später zu einem Schlüssel, der uns die Welt besser verstehen lässt.

Diese Geschichte handelt von einer solchen Erinnerung, die mich von Kindesbeinen an mit den Folgen von Krieg konfrontiert hat – und mit der Hoffnung auf Frieden. Es geht um Krieg, Verlust und die drängende Frage ob wir überhaupt Frieden bewahren können.
Ich lade euch ein, mit mir innezuhalten, und Frieden nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern ihn bewusst zu schützen.

Es ist kein leichtes Thema, aber ein wichtiges. Es geht um Mitgefühl und Verständnis und den Weg für eine friedlichere Welt zu ebnen.

Die Kriegsgräber in Friedrichshafen

Vor dem weihnachtlichen Abendessen, die Kinder waren schon fürs Festessen herausgeputzt, im Kopf den Christbaum und darunter die Geschenke. Zuerst aber galt es, auf den Friedhof zu gehen, Oma Opa mit Weihwasser zu besprenkeln, einen mit leuchtenden Kerzen besetzten Tannenzweig abzulegen, ein wenig andächtig gucken, beten, und dann... Dann zum Friedhof der Kriegsgefallenen. Und hier beginnt die Geschichte.

Ein Labyrinth aus Gräbern

Der Spaziergang zwischen den winterlichen Gräbern mutete romantisch an, als kleiner Pöks kam es mir vor wie ein großes Labyrinth, die Grabkerzen schimmerten, der große Bruder nahm mich an die Hand "Komm, wir nehmen eine Abkürzung".

Dann standen wir auf einem Feld mit zahllosen Reihen kleiner quadratischer Steinchen. Als Erwachsene kommt mir dieses Feld doch recht überschaubar vor, damals schien es mir schier unendlich zu sein.

Die Geschichte vom Franzl

Zielsicher steuerte mein Vater auf einen Gedenkstein zu. Und begann*.

"Hier liegt der Franzl, der war mein Jugendfreund. Wir wollten am Wochenende zusammen auf die Bregenzer Hütte zum wandern."

Die Familie stand schweigend am Grab herum und wartete, wie es weiterging. Er erzählte dann, dass sie "Flakhelfer" waren, was immer das bedeuten mochte, manchmal kam eine Beschreibung, wer an der Flak stand, wie Granaten eingelegt wurden, wie irgendwohin geschossen wurde.

Ich langweilte mich, was zum Teufel war das nur, eine Flak? Wann passierte das überhaupt und warum müssen wir das jedes Jahr hören? Ich erinnere mich daran bis ich ungefähr 11 Jahre alt war. Danach, in der Zeit, als ich es eigentlich hätte begreifen müssen, hatte ich andere Probleme.

Franzl, muss i sterbe?

"Und dann kam ich wieder zu mir, meine Ohren klingelten, meine Kameraden waren weg. Ich schaute mich um, neben mir lag der Franz, sein Brustkorb war komplett zerschossen. Ich kniete mich neben ihn und hielt ihn in meinen Armen. Er blickte staunend zu mir hoch und frage: 'Franzl, muss i jetzt sterbe?' (die hießen beide Franz). Ich sagte, Nein! Auf keinen Fall, du stirbst nicht! Du kommst durch! Natürlich kommst du durch!
Am nächsten Tag schon war er tot. Und die anderen auch."

Es gab noch weitere Stopps, bei Gräbern der anderen Jungen, die damals ums Leben kamen. Ich erinnere mich nicht mehr. Man vergisst vieles so schnell.

Die Last der Erinnerung

,Ich habe diesem Ritual nie große Aufmerksamkeit beigemessen. Krieg, Tod und Schrecken, das hatte doch alles nichts mit meinem Leben zu tun.

Viele Jahre später, ich kenne den Auslöser nicht mehr, habe ich mir ins Gedächtnis gerufen, dass mein Vater ungefähr 16 Jahre alt sein musste. Sie waren Schüler.
Er hat seinen Kameraden im Alter von 16 Jahren in seinen Armen sterben sehen.
Und kam vielleicht zeitlebens nicht darüber hinweg, führte uns Jahr um Jahr an dieses Grab und wiederholte mantraartig diese Worte: "Muss i jetzt sterbe?" "Nein, Du stirbst nicht!"
War er dankbar, dass er noch leben durfte?
Hatte er Schuldgefühle, weil er noch lebte?
Solche Fragen kann ich ihm nicht mehr stellen. Zu spät, zu spät mein Verstehen, zu spät die Erkenntis. Lasst es bei euch nie zu spät werden.

Kriegsfriedhof in Friedrichshafen Gräber
Ein Weckruf an Millennials, Gen Z und Alpha: Was bedeutet Frieden wirklich?

Für uns, die wir nie einen Krieg erlebt haben

Zu spät. Zu spät klingt es in meinen Ohren nach. Aus diesem Grund habe ich diese Geschichte aufgeschrieben. Ich bewahre sie für alle jungen Menschen, die erneut in den Krieg ziehen möchten oder, schlimmer noch, die in einen Krieg ziehen müssen.

Erinnert euch daran, wie es sein muss, seinen Kumpel auf solch schreckliche Weise sterben zu sehen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

"Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen."

Obwohl das Zitat häufig Helmut Schmidt zugeschrieben wird, gibt es keine direkten Belege dafür, dass er es tatsächlich in dieser Form geäußert hat. Es scheint eher eine Paraphrase seiner allgemeinen Haltung zur Diplomatie zu sein, die im Laufe der Zeit zu einem prägnanten Zitat verdichtet wurde. Es ist erwähnenswert, dass Schmidt zwar für Verhandlungen und Diplomatie eintrat, aber keineswegs ein strikter Pazifist war. Er war bereit, wenn nötig auch militärische Mittel einzusetzen, wie sein Umgang mit der Flugzeugentführung in Mogadischu 1977 zeigt.

"Lieber Teppich zum Gebet auslegen, als aufeinander zu schießen".

Weiteres Material zum Thema

https://www.schwaebische.de/regional/bodensee/friedrichshafen/erinnerungen-an-die-stadt-in-truemmern-272207?registration=success
Zitat aus url oben:

Die Stadt als Festung
Zwischen 1943 und 1945 gab es elf Luftangriffe auf Friedrichshafen, die über 700 Tote und mehr als 1400 Verletzte forderten. Hartmut Semmler hat die Geburts- und Sterbedaten vieler Toter aufgearbeitet und präsentiert sie als alphabetische Liste, die fortgesetzt werden wird, wie Stadtarchivar Jürgen Oellers erläutert. Unter den Toten waren auch zahlreiche Jugendliche im Schulalter, die als Luftwaffenhelfer eingesetzt wurden. „Als Rüstungsstadt wurde Friedrichshafen bis 1943 zu einer Luftabwehr-Festung ausgebaut“, heißt es in der Ausstellung. Insgesamt waren in den Flakbatterien in Friedrichshafen bis Ende 1944 etwa 2260 Schülersoldaten aus 56 höheren Schulen Süddeutschlands im Einsatz. Aus Friedrichshafen kamen etwa 110 davon. Beim US-amerikanischen Tagesangriff vom 3. August 1944 starben an den Flakbatterien in Schnetzenhausen 23 junge Flakhelfer – Gymnasiasten und Lehrlinge. Nahe dieser Stelle errichteten die überlebenden Flakhelfer von damals im Jahr 1984 einen Gedenkstein mit einer beschrifteten Bronzetafel. Heute befindet sich diese Tafel an einer Kapelle, die 1996 an derselben Stelle erbaut wurde. Auch am Graf-Zeppelin-Gymnasium wird die Erinnerung noch immer aufrecht erhalten, im Rahmen eines Unterrichtsprojekts – denn sieben der in Schnetzenhausen gestorbenen „Schülersoldaten“ waren Schüler des GZG gewesen. Am GZG erinnert daran auch eine Tafel des Geschichtspfads. Die Namen der die toten Schüler – Franz Frommel, Walter Hauffe, Eberhard Kuehlwein, Gerhard Kurz, Johann Miller, Josef Sauter und Harro Wiedmann – sucht man darauf aber leider vergebens.

https://www.schwaebische.de/regional/bodensee/friedrichshafen/kanonenfutter-an-der-heimatfront-2749301

Hier ruhen 88 deutsche Soldaten und über 200 Opfer der Bombennächte. Dem Eingang gegenüber ragt ein Hochkreuz aus dem Gräberfeld. Die Namen der Toten sind auf Granitsteinen festgehalten. In unmittelbarer Nähe liegt ein Gräberfeld mit 448 sowjetischen Soldaten, die in der Gefangenschaft verstorben sind
https://kriegsgraeberstaetten.volksbund.de/friedhof/friedrichshafen-gemeindefdh

 

Im 2. Weltkrieg wurden große Teile der Stadt durch Bombenangriffe zerstört.
Vom 21. Juni 1943 bis zum 25. Februar 1945 mußte die alte Bodenseestadt elf Luftangriffe über sich ergehen lassen.
Die Bilanz der systematischen Bombardierungen: Etwa 1000 Tote, 1000 Verwundete und unzählige Obdachlose, die ein elendes Leben in Notquartieren führen mußten.
http://www.kriegsopfer.org/Denkmale/Baden_Wuerttemberg/Bodenseekreis/Friedrichshafen/Friedrichshafen_Alter_Friedhof.html

Fortsetzung folgt: Später, in Mindelheim wurde mein Vater von einer Granate verletzt, er kam ins Lazarett und dann in Gefangenschaft (mit ca. 18 Jahren). Wie sich dies zutrug, und wie er von den französischen Besatzern mit erleichterten Rufen "Francois, Francois" empfangen wurde.

* Die Erzählung wird so wiedergegeben, wie ich sie in Erinnerung behalten habe.